Ich finde keine Worte für diesen Beitrag und weiß nicht so recht, wie ich ihn aufbauen soll Ich sitze hier mit Tränen in den Augen, weil ich mir die geschriebenen Worte von Melissa erneut durchlese und mir läuft es eiskalt den Rücken herunter. Wie muss es wohl sein zu wissen, dass das eigene Kind todkrank ist? Auch wenn ich selbst noch keine Mama bin, könnte ich mir nichts schlimmeres vorstellen. Und trotzdem kann ich es nicht einmal annähernd nachvollziehen, wie es sich wahrscheinlich tatsächlich anfühlt, wenn man es auf eigener Art und Weise erlebt.
Ich habe eines Tages in der Zeitung den Bericht über eine Mutter aus Heiligenhaus gelesen, die mit ihrem Sohn Hubschrauber und Zeppelin geflogen ist. Dieser Junge hat Krebs. Mich hat die Geschichte von Melissa direkt beeindruckend und ich wollte sie und Julius sofort kennen lernen. Noch im selben Moment habe ich mein Handy genommen und eine E-Mail getippt. So etwas mache ich normalerweise immer in Ruhe am Computer, aber hier wollte ich einfach so schnell wie möglich mit den beiden in Kontakt treten. Kurz darauf hat Melissa auch schon geantwortet und wir haben uns für ein Shooting an einem wunderschönen Spätsommerabend getroffen.
Ich hatte tatsächlich etwas Angst vor der Begegnung. Ich wusste nicht, wie der Kleine drauf sein wird. Ist er schlapp? Sieht man ihm seine Krankheit an? Wie ist seine Mutter? Kann ich ganz offen mit ihr über Julius sprechen? Durch das Projekt habe ich mittlerweile zwar einige Menschen mit besonders harten Schicksalsschlägen kennengelernt, aber noch nie jemanden, der laut den Ärzten das Jahr nicht mehr überleben wird. Dass das auch noch ein kleines Kind sein wird, das hat mich total verunsichert.
Am Tag unseres Shootings schien die Sonne. Perfekt für ein paar Bilder! Wir haben uns gegen Nachmittag getroffen, da Julius immer lange schläft und sonst noch nicht fit genug gewesen wäre. Wir trafen uns an der Feuerwehrwache in Heiligenhaus. Ein zufälliger Vorschlag von mir, denn Melissa ist beruflich selbst Feuerwehrfrau und erzählte mir, dass auch Julius ein großer Fan ist. (Sein Rollstuhl wurde zum Beispiel mit Flammen bemalt). Melissa und ich begrüßten uns, die kleine Hündin Ruby sprang mir fröhlich entgegen. Und wo war Julius? Er war gerade damit beschäftigt mit seinem blauen Luftballon zu spielen, den er aus einem Fast-Food-Restaurant mitgenommen hat. „Er liebt Chicken Nuggets, deswegen müssen wir so oft dahin. Aber was soll ich sagen? Wenn er das möchte, dann mache ich das gerne.“ sagte Melissa. Nachdem Julius dann seinen Ballon blöderweise platzen ließ (er aber zum Glück noch einen zweiten im Auto hatte), fuhren wir dann ein Stückchen weiter zu unserer Location. Melissa hat ihn im Rollstuhl geschoben, da er zwar Laufen kann, aber manchmal dann doch zu schnell kaputt ist.
Wie das so bei kleinen Jungs ist, haben sie am Anfang gar keine Lust auf Fotos, aber das war auch kein Problem. Vielmehr haben Melissa und ich uns über Julius, ihr gemeinsames Leben und die kleinen Abenteuer der beiden unterhalten und auch über sie als Frau und ihre Wünsche für die Zukunft. Zwischenzeitlich machten wir dann einfach ein paar Momentaufnahmen, wie Julius zum Beispiel Seifenblasen pustete, auf dem Holzstamm kletterte oder den ganzen Berg hoch und wieder herunter rannte. So viel zum Thema „er ist schnell außer Atem und braucht den Rollstuhl“… 🙂 Es war für mich wirklich schön zu sehen, dass er so aktiv war. Ich hätte nicht damit gerechnet und tatsächlich sogar in der Zeit unseres Treffens ausgeblendet, dass vor mir ein krebskrankes Kind vor der Kamera steht.
Nach unserem Shooting verabschiedeten wir uns. Melissa stieg mit Ruby und Julius, der so langsam müde wurde, ins Auto. Ich stieg ebenfalls in meines, aber konnte noch sofort nicht los fahren. Ich musste diese Begegnung erst einmal sacken lassen. Nicht, weil ich heute einen krebskranken kleinen Jungen fotografiert habe, sondern weil ich eine unglaublich Frau und ihren starken, kleinen Tiger kennen lernen durfte. Ich konnte nicht anders und musste ein paar Tränen verdrücken, weil mich die Gespräche mit Melissa so tief berührten und ich diese intensive Bindung zwischen ihr und Julius gespürt habe. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass ich die Chance hatte, diese beiden kennen zu lernen.
Ich freue mich sehr euch die Geschichte von Melissa und Julius hier vorstellen zu dürfen und darüber, dass sie Teil vom Projekt einzig-art-ICH sind. Um euch selbst ein Bild von Melissa und Julius zu machen, könnt ihr auf ihrem Blogvorbei schauen, auf dem sie tagtäglich über das Leben mit ihrem kleinen Tiger schreibt. Viel Spaß beim Lesen!
„Hallo mein Name ist Melissa. Ich bin die Mama von Julius. Julius ist 7 Jahre alt und ist am Ewing Sarkom erkrankt. Eine Bösartige und aggressive Krebserkrankung. Wie alles begann möchte ich euch hier erzählen…
Eines Tages fand ich an Julius Brustkorb eine unnormale Schwellung. Links in Höhe der 5. Rippe. Den Tag der 1. Verdachtsdiagnose vergesse ich niemals -er hat sich so fest in mein Herz gebrannt… Es war der 29. Mai 2015.
Am 4. Geburtstag vom Tiger (so nenne ich meinen Sohn liebevoll) wurden wir endlich informiert, um welche Art von Tumor es sich handelt. Er hatte bereits einen Port implantiert bekommen. Zwei Tage später folgte die 1. Chemo. Er bekam 7 Stück, am 12.11.15 die 1. Op. danach weitere 7. Chemos. Es folgten noch 10 leichte Bestrahlungen aufgrund von Lungenmetastasen . Der Tumor war nach der 1. Therapieeinheit (14 chemos, OP und Bestrahlung) im März 2018 verschwunden.
Wir fuhren 4 Wochen in die Reha nach Bad Oexen (Juni 2016). Dem Tiger wuchsen wieder Haare. Er ging wieder in die Kita und ich ging wieder arbeiten. Wir starteten dann in die Nachsorge – regelmäßige Blutkontrollen und alle 3 Monate ein CT. Ich war fest davon überzeugt, dass wir den Krebs besiegt hatten. Dem Tiger ging es super!
Am 12. August 2016 war der Tumor wieder da …
Aussage des Chefs der Kinderonkologie: „Frau Scholten, die Chancen, dass Julius an diesem Tumor verstirbt sind größer, als dass er diesen überlebt.“ An diesem Tag bin ich das 2. Mal gestorben und ich kann mich an die folgenden Tage nicht wirklich erinnern. Ich war wie betäubt und eigentlich noch immer leer von der 1.Therapie…. und jetzt wieder kämpfen? Wie denn??? Womit denn? Mein Kind hatte wieder Haare, ging in die Kita und war voller Lebenslust! Das sollte alles wieder zerstört werden? UND ICH WAR ALLEINE. Aber Juli brauchte mich … Also …
Die 2. Op folgte am 19.8 und es es folgten 5 weitere Chemos… Julius brauchte eine Magensonde, denn die oralen Chemomedikamente schmecken furchtbar. Das weiß ich, weil ich jedes Medikament probiert habe, welches er nehmen musste. Jedes!! Es war mir so egal… Ich wollte wissen was ich ihm zumute. Es war so grausam…. der Kleine hat sooo viel brechen müssen!
Im Januar 2017 folgte eine Hochdosis Chemo. Dabei wurden als „Nebenwirkung“ Julius Stammzellen zerstört. Er erhielt dann aber quasi eine Spende von sich selbst. Ihm wurden im Juni 2015 bereits seine eigenen Stammzellen entnommen (diese waren vom Krebs nicht befallen). Am 17.1.17 bekam er seine eigenen neuen Stammzellen. Während er auf der KMT 3 lag (Intensivstation mit Isolierung) durfte ich leider nicht bei ihm schlafen. Das waren die einzigen 22 Tage, die ich während eines Krankenhausaufenthalts nicht bei ihm sein durfte. Ich bin in der Klinik nicht von seiner Seite gewichen und war jede Nacht bei ihm.
Er hat durch die Hochdosis wieder seine kompletten Haare verloren. Kopfbehaarung, Wimpern, Augenbrauen und Körperbehaarung. Und bevor die Hochdosis los ging…. hat mir meine beste Freundin den Kopf rasiert. Und ich hatte endlich das Gefühl meinem kranken Kind etwas zurück zu geben. Noch nie hat sich etwas so gut und so richtig angefühlt… Ich würde es sofort wieder tun.
Nach der Hochdosis kamen 28 Bestrahlungen. Jeden Tag Narkose. Am 19.4.17 war es endlich vorbei. Ich kann die Narkosen und CTs, MRTs ,EKGs und Röntgenaufnahmen nicht mehr zählen. Die 2. Therapie war so viel schlimmer. Und ich hatte nie wirklich ein gutes Gefühl. Mein Bauch hat immer Recht gehabt!
Ich bin so voller Wut, voller Angst, voller Trauer und Enttäuschung ….das es dafür keine Worte gibt. Mein Kind ist so voller Leben und voller Liebe und er ist der stärkste Mensch auf dieser Erde. Er hat nie gesagt: „Ich will nicht mehr!“ Er hat alles ertragen… und hat doch keine Chance. DAS IST NICHT FAIR!!!!!
Ich habe schon vor über einem Jahr entschieden bei einem erneuten Rückfall keine weitere Therapie mehr zu zulassen. Laut den Ärzten kann man immer irgendwas machen, aber niemand fragt nach Sinn und Erfolg der Therapie. Mein Tiger ist kein Versuchsobjekt. Er hat außerdem genug durchgemacht. Ich habe so viele Bilder im Kopf, die ich nicht los werde. Es reicht… ich kann nicht mehr!
Wir werden den Tumor nicht besiegen!
Es gibt eine neue Metastase von ca 3cm in der Lunge (stand 26.2.18). Ich sterbe innerlich erneut. Warum er? Wieso? Mit Worten ist das kaum zu beschreiben, weil es als Mutter kaum zu ertragen ist! Es gibt so viele unbeantwortete Fragen!
Aber wir werden leben, so lange es geht. Wir holen alles raus was geht. Wir wissen nicht wie lange, aber so lang wir dürfen…. geben wir Gas. Im März wollte man uns von der Kreuzfahrt Ende April abraten. Wir haben sie trotzdem gemacht. Laut der Medizin sollte mein Kind den Spätsommer nicht mehr miterleben können. Aber er lebt!
Stand heute: Wir leben jeden Tag bewusst und machen das Beste aus jedem Tag. Der Tiger freut sich sehr auf Weihnachten und je nach Gesundheitszustand feiern wir im November oder Dezember unser Weihnachtsfest.