Moin, ich bin Viola und 29 Jahre alt und ne waschechte Niedersächsin. Ich habe Myasthenia Gravis, eine Autoimmunerkrankung. Die ersten 25 Jahre waren eigentlich ziemlich normal. Gut, ich hab keine Schilddrüse mehr aufgrund von Basedow und habe mit 20 Jahren noch Epilepsiebekommen, weswegen ich meine ursprüngliche Ausbildung als Berufskraftfahrerin abbrechen musste (hey, wenigstens habe ich trotzdem eine LKW Führerschein!), aber beide Erkrankungen schränkten mich nicht sonderlich ein und so fing ich eine Ausbildung zur Physiotherapeutin an. Die Epilepsie stellte kein Problem dar, denn ich bin glücklicherweise anfallsfrei.
2014 schloss ich die Ausbildung mit dem Staatsexamen ab und wollte nun endlich ins Berufsleben starten. Das war auch zuerst überhaupt kein Problem und ich arbeitete in einer kleinen dörflichen Praxis. Zum Ausgleich ging ich Inline Skaten, Bouldern und ins Fitnessstudio. Schon mein ganzes Leben lang brauchte ich immer Sport und habe viele Sportarten ausprobiert. Im Frühling 2015 fiel mit auf, dass ich meine typische Skatingstrecke nicht mehr in der üblichen Zeit schaffte und ich auch bei den anderen Sportarten etwas am schwächeln war. Auch fiel mir auf, dass ich teilweise verschwommen sah. Gedacht habe ich mir aber nichts dabei. Ich meine…wenn man 10 km skaten nicht mehr in 35 min, sondern in 40 min schafft ist es ja nicht wirklich besorgniserregend. Und das verschwommene Sehen schob ich auf meine Kurzsichtigkeit…da war wohl wieder eine neue Brille fällig.
Über mehrere Wochen habe ich mich daher eigentlich nicht weiter drum gekümmert, bis ich Ende Juni 2015 einen eigentlich harmlosen Infekt hatte. Der wollte nicht vergehen und ich bekam ein Antibiotikum. Nach wenigen Tagen war nun meine Gehstrecke nur noch im niedrigen dreistelligen Bereich und ich bekam schlecht Luft. Das war nun doch nicht mehr normal. (Heute weiß ich, dass das Antibiotikum bei der Myasthenie kontraindiziert war, aber ich hatte ja keine Diagnose). Meine Hausärztin überwies mich zur Endokrinologie, die Ärztin schob alles auf den Basedow. („Da kommt es halt mal zur Muskelschwäche“). Mehr zufällig hatte ich einen Kontrolltermin in meiner damaligen Epilepsieambulanz und schilderte dort meine Probleme…wohlwissend, dass es mit Epilepsie nichts zu tun hat. Die Ärzte dort schalteten sofort und nahmen mich wenige Tage später mit Verdacht auf etwas neuromuskuläres auf.
Nach rund 2 Wochen hatte ich dann die Diagnose Myasthenie und bekam das erste Mal ein Medikament. Dieses wirkt binnen 30 Minuten, sodass man sofort sehen konnte, dass es eine Wirkung hat. Ich hab fast geheult, als ich wieder etwas weiter laufen konnte. Auf meinen Wunsch hin wurde eine Reha beantragt und ich kam in das Neurozentrum Niedersachsen in Bad Essen, die weltbeste Reha (mittlerweile war ich bereits viermal dort). Dort erklärte man mir direkt, dass es mit dem alten Beruf wohl nichts mehr werden wird und sie mich daher berufsunfähig entlassen würden. Damit war ich so gar nicht einverstanden. Ich ging damals davon aus, dass ich Medikamente nehmen würde und dann wäre alles wieder normal. Schließlich steht ja fast überall, dass man mit Medikamenten normalerweise ein normales Leben führen kann.
Tja…die Reha sollte Recht behalten. Im Frühjahr 2016 lag ich das erste Mal auf der Intensivstation mit Myasthener Krise. (Eine Myasthene Krise ist eine akut notfallmäßige Verschlechterung bei der u.a. die Atmung massiv betroffen ist und die eine sofortige Behandlung auf einer ITS oder IMC mit nichtinvasiver oder invasiver Beatmung notwendig macht). Hiernach war mein Gehvermögen so schlecht, dass ich mich dazu entschied einen Aktivrolli zu beantragen. Wenige Wochen später kam noch der E-Motion als Unterstützung dazu, da die Kraft in den Armen nicht ausreichend war. (Beim E-Motion handelt es sich um einen Restkraftverstärker, bei dem die Anschubbewegung verstärkt wird.)
Im Herbst kam die zweite Krise und kurz vor Weihnachten folgte Krise Nr. 3 nach einer Thymektomie. Die Thymektomie wird gemacht, da man davon ausgeht, dass der Thymus eine Rolle bei der Myasthenie spielt und man sich eine Besserung nach Entfernung erhofft. Der Tyhmus selbst verkümmert beim Erwachsenen ohnehin. Man entfernt also kein lebensnotwendiges Organ.
Nach der zweiten und dritten Krise durfte ich wieder in meine heißgeliebte Reha. Es gibt nur genau einen Nachteil, wenn die Reha einen kennt. Die Klinik wusste ganz genau, dass ich mich körperlich deutlich verschlechtert hatte und das wurde mir auch knallhart aufs Brot geschmiert. Eigentlich sollte ich im Januar 2017 meine Umschulung zur Fachangestellten für medizinische Dokumentation beginnen, allerdings war dies nicht machbar .Ich war nicht fit genug und so wurde es auf Juni 2017 verschoben. Mittlerweile war ich komplett auf den Rolli angewiesen.
Im Sommer 2017 begann ich dann die Umschulung in Vollzeit. Vor der Vollzeit hatte ich Angst, denn bis dato hatte ich es nie geschafft mehrere Stunden am Stück irgendwas zu machen, allerdings hätte es eine Umschulung in Teilzeit nicht gegeben. Das ganze ging nur wenige Wochen gut, dann kam die nächste Krise und ich lag mal wieder in der Klinik. Daraufhin durfte ich aber immerhin meine Umschulung in Teilzeit fortführen, womit ich die absolute Ausnahme bin. Bei mir sind aber zum Glück die Noten sehr gut und scheinbar hat dies den Kostenträger (die Rentenversicherung) überzeugt, dass es lohnt in mich zu investieren.
Dann kam der Sommer 2018 und damit meine absolute Katastrophe. Es war schon im Mai relativ heiß und Wärme führt bei der Myasthenie oft zu einer Verstärkung der Symptome. Dies ist auch bei mir der Fall. Also kam ich mit einer Verschlechterung in die Klinik…noch hatte ich keine Krise. Ich wurde nach kurzer Zeit dann mit dem KTW in die Klinik verlegt, die mich bis dato sowohl stationär als auch ambulant immer behandelt hat. Hier begann mein persönlicher Horror. Der Oberarzt war plötzlich der Meinung, dass ich ja erfreulicherweise seit Monaten super eingestellt bin. Er behauptete, dass man mit Myasthenie nie einen Rollstuhl benutzen würde und, dass ich einfach nur simulieren würde. Alternativ wäre es alles psychisch. Er verweigerte mit sämtliche Medikamente. Ich konnte nicht mehr schlucken hatte eine Atemvolumen von deutlich unter einem Liter, konnte mich nicht selbst bewegen (nicht mal drehen oder die Hand öffnen). Dennoch behauptete der Oberarzt weiterhin, dass ich ja symptomfrei wäre und obwohl ich eine Magensonde hatte, behauptete der Arzt weiterhin, dass ich ja prima schlucken könne. Ernsthaft? Eine Magensonde lässt sich keiner freiwillig legen. Das ist absolut nicht angenehm.
Mir ging es immer schlechter und so beschloss ich mich einfach von der Intensiv selbst zu entlassen. Übrigens nicht mal gegen ärztlichen Rat. Schließlich ging es mir ja angeblich super. Meine Mutter fuhr mich dann in eine andere Klinik ca. 100 km weit weg. Dort wurde ich natürlich sofort aufgenommen und auf der IMC behandelt. War wohl doch ne Krise… Ich wurde mit Infusionen behandelt, die ich auch vorher schon über fast 2 Jahre ambulant und in Krisen stationär bekommen hatte und war nach kurzer Zeit wieder stabil. Selbstverständlich handelte es sich laut der Oberarzt der vorherigen Klinik hier nur um einen Placeboeffekt. Unnötig zu erwähnen, dass dieser Oberarzt mich 2 Jahre lang mit dem von ihm als Placebo bezifferten Medikament behandelt hat! Am Ende des Krankenhausaufenthaltes war ich immerhin wieder in der Lage zu stehen, konnte essen und meine Hände wieder benutzen.
Für mich ging es wieder in die Reha. Eine Weiterbehandlung in der alten Klinik kam natürlich nicht mehr in Frage und da dieser Oberarzt quasi gegen mich hetzte, stellte auch eine andere Klinik die Behandlung ein. Ohne die notwendigen Infusionen, die mir verweigert wurden, hätte ich das Jahr 2018 vermutlich nicht überlebt. Glücklicherweise fand ich im Herbst 2018 eine Klinik mit tollem ärztlichen und pflegerischen Team. Nachdem sie mich zweimal stationär mit Infusionen (Immunglobulinen) behandelt hatten, stellten sie meine Therapie im November auf Soliris um. Es ist seit 2017 zugelassen und derzeit bin ich noch immer die einzige in der Neurologie, die das Medikament bekommt.
Ich brauche zwar weiterhin den Rollstuhl, kann aber immerhin wieder kurz stehen und schaffe auch mal bis zu 10 Meter zu gehen. Meine Atmung ist deutlich besser und ich habe seit letztem Sommer keine Krise mehr gehabt und seit Beginn des Medikamentes im November auch keine Verschlechterung mehr, die einen Krankenhausaufenthalt erfordert hätte. Bin also ganz zufrieden.
Die „kleine“ Unstimmigkeit mit der alten Klinik liegt derzeit vor der Norddeutschen Ärztekammer. Ich denke zwar nicht, dass dort für mich etwas bei rauskommt, aber Hauptsache die Klinik merkt, dass ich mir nicht alles gefallen lasse.Was mir noch im Alltag auffällt, ist die wirklich miese Stimmung und der Neid, der unter Behinderten selbst vorhanden ist. Ich gehöre zu dem Großteil der Rollifahrer, die einen Steh- und/oder Gehrest haben. Deswegen faked man aber nicht. Der Großteil der Rollifahrer hat übrigens noch Restfähigkeiten. Es fällt im Alltag nur nicht auf. Auch kann man nicht von sich auf andere schließen. Nur weil Person B keinen Pflegegrad bekommt und nicht arbeiten kann, bedeutet es nicht, dass Person A betrügt, wenn sie arbeitet und einen Pflegegrad hat. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir dies schon passiert ist und wie oft ich deswegen angefeindet worden bin. Sowas nervt wirklich extrem.
Ich habe ein ganz normales Leben, es ist lediglich etwas anders und erfordert vielleicht etwas mehr Planung. Seit Januar mache ich Paraclimbing, ich fahre auch gerne mal Handbike und habe es neulich sogar geschafft das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung in der Klassifizierung G3 (geringes Steh- und Gehvermögen und deutlichen Einschränkungen der oberen Extremität) abzulegen. Grob gesagt habe ich also ein relativ cooles Leben!
Von Anfang an war klar, dass mein kleiner grüner Flitzer mit Namen Kermit mit helfen soll das Leben zu erleichtern. Ein Rollstuhl ist nicht das Ende. Ich persönlich kann es nicht ausstehen, wenn man in Selbstmitleid versinkt. Einfach schauen, was noch geht und dann die Dinge anpacken. Schlechte Tage haben auch gesunde Menschen mal. Aufstehen und Teufelshörner…. ähhhh Krone richten ist meine Devise 🙂